Wortkrimi 7 – armer Roboter
Europäischer Wort-Krimi Nr. 07
Durch die Arbeit des Roboters wird der Erbe arm.
Die vier Wörter Arbeit, Roboter, Erbe und arm haben eine gemeinsame etymologische Herkunft aus der indoeuropäischen Ursprache in der Wurzel *orbh- was ’verwaist, Waise’ bedeutete oder aber jemanden von geringem Status bezeichnete (jemand der nicht ‚frei‘ ist und demzufolge arbeiten musste). Dieser Stamm hat sich in einigen germanischen und slawischen Sprachen fortentwickelt. So lautet ‚Arbeit‘ in einigen slawischen Sprachen:
Polnisch robota (aber meistens praca), Russisch работа, Slowakisch rabota (aber meistens práca), Tschechisch robota und Ukrainisch робота.
Roboter
Der Name Roboter als „Bezeichnung für einen künstlichen Menschen, eine Puppe, die Bewegungen scheinbar selbständig ausführt“ (DIE ZEIT. Das Lexikon, Band 12: 305) wurde von dem tschechischen Schriftsteller K. Čapek (1887-1945) in seinem utopischen Drama „R.U.R.“ (= Rossum’s Universal Robots) 1920 geprägt, und zwar in Anlehnung an das tschechische Wort robota ’schwere, mühsame Arbeit, Frondienst, Knechtsarbeit, Untertanenarbeit’ (vgl. Pfeifer 1993: 1132f).
Doch zurück zum Deutschen. Im Germanischen heißt die alte Wurzel *arbejidiz ’Mühsal’. Daher heißt es bei Pfeifer (1993: 55) für das Deutsche:
„Die Ausgangsbedeutung der germanischen Bildung ’schwere körperliche Anstrengung, Mühsal’ reicht bis ins Neuhochdeutsche; im Mittelhochdeutschen tritt der Begriff ’Mühsal, Not, die man leidet oder freiwillig übernimmt’ besonders hervor. … Die positive Bewertung der Arbeit (zuerst bei Luther) vollzieht sich unter dem Einfluß [sic] des aufsteigenden Bürgertums und der zunehmenden Entwicklung kapitalistischer Produktionsverhältnisse“.
Sozialhistorische Entwicklungen: Neuinterpretation von ‚Arbeit‘
Der Begründer der deutschen Soziologie Max Weber (1864-1920) hat den Wandel der Bedeutung von Arbeit zum Positiven in seiner 1905 erschienenen Schrift >Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus< eindrucksvoll analysiert. Kurz zusammengefasst bedeutet es (vgl. im Folgenden Nowak 2009: 77f):
Nicht die Entfesselung der kapitalistischen Produktivkräfte wie Wissenschaft und Technik sind die Basis für die Entstehung des Kapitalismus, sondern die geistige Wende: weg vom Müßiggang und Luxus und hin zur Arbeit, Sparsamkeit und Fleiß. Ausgangspunkt der Weber’schen Analyse ist die Berufsidee des „asketischen Protestantismus“, die einen Zusammenhang zwischen „religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese“ und zwischen „Askese und Kapitalismus“ analysiert (Weber 2000: 53). In der Prädestinationslehre des revolutionären protestantischen Reformators Johannes Calvin (1509-1564) wird behauptet, dass schon bei der Geburt Gott durch seine Gnadenwahl entschieden hat, ob man in den Himmel oder in die Hölle kommt. Daher stellt sich jeder Calvinist die quälende Frage, ob er denn erwählt sei und wie er sich dieser Erwählung sicher werden kann (vgl. Weber 200: 69), denn „äußerlich“ sind sie nicht zu unterscheiden. Max Weber argumentiert wie folgt:
„…treten namentlich zwei miteinander verknüpfte Typen seelsorgerischer Ratschläge als charakteristisch hervor. Es wird einerseits schlechthin zur Pflicht gemacht, sich erwählt zu halten, und jeden Zweifel als Anfechtung des Teufels abzuweisen, …. Und andererseits wurde, um jene Selbstgewissheit zu erlangen, als hervorragendsten Mittel rastlose Berufsarbeit eingeschärft. Sie und sie allein verscheuche den religiösen Zweifel und gebe die Sicherheit des Gnadenstandes.“ (Weber 2000: 70f)
Arbeit wird zur Erfüllung Gottes Willen. Die Lebensweise des vereinsamten Individuums führt zu einer innerweltlichen Askese, um den Ruhm Gottes auf Erden zu mehren. „Diese Rationalisierung nun gibt der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch asketischen Zug …“ (Weber 2000: 78). Die religiöse Bindung wird nach und nach „vergessen“, aber die sozialisationsbedingte verinnerlichte Arbeitshaltung bleibt (bis heute?) erhalten: Leben um zu arbeiten und nicht umgekehrt.
Dieser Arbeitsethos stellt das genaue Gegenteil vergangener vorindustrieller Gesellschaftsordnungen dar. In der Sklavenhaltergesellschaft und im Feudalismus war es bei den Sklavenhaltern und den Adligen verpönt zu arbeiten. Wo also ‚Arbeit‘ früher die Bedeutung von „Mühsal, Not, die man leidet oder freiwillig übernimmt“ trug, so gewann das Wort semantisch im Zuge der aufgeführten Entwicklungen eine zunehmend positive Konnotation.
Arbeit versus Werk
‚Arbeit‘ ist allerdings nur in den drei skandinavischen germanischen Sprachen vertreten:
Dänisch arbejde, Norwegisch arbeid und Schwedisch arbete.
Dagegen heißt im Englischen work und im Niederländischen werk. Wir kennen die Wörter Werk und werken. Hier liegt offensichtlich eine andere etymologische Wurzel des Indoeuropäischen zugrunde.
Erbe und arm
Das Erbe als Hinterlassenschaft eines Verstorbenen hat seinen Bedeutungsausgangspunkt in ’das einer Waise Gehörige, einer Waise rechtlich zufallendes Besitztum’. Das Wort leitet sich auch von Indoeuropäisch *orbh- ab. In anderen europäischen Sprachen gibt es folgende Wörter:
Lateinisch orbus ’einer Sache beraubt, verwaist, Griechisch ορφανός ’verwaist’ und Russisch ребёнок ’kleines Kind’.
Beim Wort arm sind sich die Etymologen mit ihrer Ableitung nicht so sicher. Ausgangspunkt ist allerdings germanisch *arbma- im Sinne von ’vereinsamt, verlassen’.
Quellen:
Nowak, Jürgen 2009: Soziologie in der Sozialen Arbeit. Schwalbach/Ts
Pfeifer, Wolfgang 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2. Auflage. Berlin
Weber, Max 2000 (1905): Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. 3. Auflage. Weinheim
„Indo-European root orbh-.“ American Heritage® Dictionary of the English Language, Fifth Edition. 2011. Houghton Mifflin Harcourt Publishing Company