Indoeuropäischer Grundwortschatz

Obgleich es zwar oft nicht sofort am Schriftbild erkennbar ist, da sich Wörter in allen Sprachen im Laufe der Zeit verändern, so sind doch die Zahlen das eindrucksvollste Beispiel für die enge Verwandtschaft aller indoeuropäischen Sprachen

So lautet und schreibt man die Zahl zehn in anderen Sprachen Europas wie folgt: Englisch ten, Schwedisch tio, Lateinisch decem, Französisch dix, Italienisch dieci, Griechisch deka, Russisch desjat, Persisch dah, Urdu/Hundi des, litauisch deschimt, usw. Alle Sprachen haben einen Anlaut t bzw. d, nur die deutsche zehn hat durch die hochdeutsche Lautverschiebung ein z im Anlaut.

Der Hund ist wahrscheinlich das älteste Haustier der Indoeuropäer. Ausgangspunkt ist die angenommene indoeuropäische Wurzel *kuuo(n). Daraus ergibt sich Griechisch kyon (vgl. unser Fremdwort zynisch), Lateinisch canis (vgl. unser Wort Kanaille und die Ableitungen wie Französisch le chien und Italienisch il cane).

Auch die deutsche Kuh beruht auf einer indoeuropäischen Gemeinsamkeit. Wurzel ist indoeuropäisch *gou, daher z.B. auch griechisch bous = Rind, Kuh, Ochse (daher boutyron = Kuhquark, woraus sich unser Lehnwort Butter ableitet) und lateinisch bos = Rind, Kuh, Ochse.

Die Katze, ein altes Haustier der Europäer, ist zwar auch fast allen europäischen Sprachen gemeinsam (vgl. spätlateinisch cattus, französisch le chat, russischkot), aber das Wort gehört nicht ursprünglich zum indoeuropäischen Grundwortschatz. Katze ist ein altes Wanderwort, dessen Herkunft unklar ist. Eine Hypothese ist die Herkunft aus Nordafrika, denn die Katze heißt im Nubischen kadis und im Berberischen kaddiska.

Die Aue oder Au als „flaches, feuchtes, am Wasser gelegenes Wiesenland, (Fluss)Niederung“ ist urverwandt mit Schwedisch ö = Insel und Lateinisch aqua = Wasser (vgl. Aquarium). Es ist bei uns in vielen Flur-, Orts- und Flussnamen erhalten, z.B. Aurach, Biberach, Salzach, Fulda und Schwarza.

 

Die Indoeuropäer hatten schon Vorstellungen zur Natur und Zeiteinteilung entwickelt. Daher sind ihnen Begriffe wie Sonne, Mond und Monat, Tag und Nacht gemeinsam. Zwei Beispiele verdeutlichen dies.

Die Sonne heißt in anderen indoeuropäischen Sprachen wie folgt, wobei n und l als Konsonant wechseln können: Englisch sun, Schwedisch sol, Lateinisch sol (vgl. Solar-), Griechisch helios (vgl. Helium), Lettisch saule und Russisch solntze.

So ist die Reihe für das deutsche Wort Nacht auch leicht in anderen Sprachen zu erkennen: Englisch night, Schwedisch natt, Lateinisch nox, noctis[1], Litauisch nactis, Lettisch nakts, Neugriechisch nixta und Russisch notsch.

Das Erbe der Antike der griechischen und römischen Kultur hat zweifellos den größten Einfluss für die Entwicklung der europäischen Kultur und ihre Ausstrahlung: Kunst, Architektur, Literatur usw. Und das lässt sich mit Tausenden von Wörtern in unserer Alltagsprache nachweisen. Das füllt mehr als die Hälfte aller Wörter des „Das große Fremdwörterbuch“ von Duden (2007).



[1] Von nox gibt es nocturnus = nächtlich, woraus unser Lehnwort nüchtern kommt. Es beruht auf der alten Klostergewohnheit, daß der erste Gottesdienst bereits in der Frühe vor Einnahme der Morgenmahlzeit geschah und bedeutete ursprünglich „noch nichts gegessen oder getrunken zu haben“.